Das teuflische Werkzeug von Veldenz

Die zweifelhafte Ehre einer Belagerung durch kaiserliche Truppen nebst Beschuß durch ein "teuflisches Werkzeug" (so nannte ein Erfurter Chronist die mittelalterlichen Steinschleudern) hatte Burg Veldenz nie. Dennoch entzündeten sich an einer dunkelroten Sandsteinkugel auf dem Fenstersims des Burgwarthauses der Ruine Ideen und Träume, in denen eine Steinschleuder ihre gewaltigen Kräfte unter Beweis stellte.

Schloss Veldenz - Blide

Mittelalterliche Abbildungen zeigen vielfach den Einsatz von Steinschleudern (Bliden). So z. B. auch die Nachzeichnung der Trierer Bilderhandschrift des 14. Jahrhunderts »Kaiser Heinrichs Romfahrt«, die - in etwa 400 Arbeitsstunden entstanden - den Rittersaal auf Burg Veldenz schmückt. Das nebenstehende Bild zeigt eine Schleuder, dynamisch einen Wurf ausführend: Der Wurfarm steht senkrecht, und stadtauswärts über die Mauer ist die ausgeklinkte Schleuder zu sehen; der Stein selbst ist nicht mehr zu erkennen. Die Blide fand demnach nicht nur als Belagerungsmaschine Verwendung, sondern auch zur Verteidigung, um Angreifern die Belagerung oder den Ansturm gegen Tor oder Mauern zu erschweren. Die Sandsteinkugel im Burgwarthaus könnte durchaus darauf hindeuten, daß Schloß Veldenz von einem solchen teuflischen Werkzeug beschützt worden ist. Dieser, für den mittelalterlichen Vorbesitzer sicherlich beruhigende Gedanke lag nunmehr, zugegeben, auch dem jetzigen Burggrafen nahe.

Die Rekonstruktion einer Blide Ottos IV. auf der thüringischen Runneburg im Weißensee führt die erstaunliche, höchst beeindruckende Kraftentfaltung dieser Maschine beim Abschuß der Kugel vor. Zwei Geschosse, je ca. 100 kg (!) schwere Blidensteine, sind dort bei Ausgrabungen am Streitturm gefunden worden. Auch dieses Erlebnis bewegte die Burggrafen von Veldenz zur Realisation einer Bliden-Rekonstruktion.

Eine tiefe Freundschaft verbindet die Veldenzer Burggrafen mit der Mittelaltergesellschaft »Compagnie du Ravin« aus der Gegend von Sedan in Ostfrankreich; ihr Streben nach Perfektion, Authentizität und ihre manchmal fast kindliche Freude am Mittelalter fasziniert. Nachdem diese wilde Söldnertruppe Schloß Veldenz - und auch den Blidenstein - kennengelernt hatte, wurde unerwartet angedeutet, der Blidenmeister Jean-Pierre Gilson könne sich vorstellen, einen »tribuchet« zu errichten, diesmal zur Verteidigung von Schloß Veldenz! Zur Illustration der verrückten Idee brachten Jean-Pierre und seine Handwerker ein Modell mit, etwa im Maßstab 1:20, mit dem er im Burgsaal von Veldenz quer über die Tafel schoß - sehr zur Freude des Grafen und der anwesenden Ritterschaft, mehr zur Erheiterung der Gräfin und der Damen.

Nun saß die Idee fest, und schon die Planung machte ebenso viel Freude wie sie Streß bereitete. Die Materialkosten mußten überschlagen werden, das großzügige Angebot der Franzosen war, unentgeltlich »manpower« zu bieten.

Prägend für die Konstruktion wurde das mit Handzeichnungen reich illustrierte Werk mittelalterlicher Baukunst und Sachkunde, das die Franzosen gleichsam unter dem Arm, ganz sicher aber im Herzen mit sich herumtrugen: Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc (1814 - 1879), Encyclopédie Médiévale. Vereinbart wurde, daß die Handwerker der Compagnie die Teile des Gerätes in ihrer Werkstatt auf dem Schloß in Sedan herrichten, und daß die Montage des Gerätes dann auf Burg Veldenz stattfinden sollte.

Schloss Veldenz - Blide

Jean-Pierre erstellte eine »Holzliste« für die Konstruktion, die auch das Gefallen eines Sägewerkbesitzers in der Eifel fand. Deutsche Eiche sollte für die Blide benutzt werden, und elastische Esche für den Wurfarm. Die Holzliste enthielt exakt 101 Holzteile inklusive dem Wurfarm aus Esche mit 6,50 Meter Länge. In klirrender Kälte wurden die immerhin 2,302 Kubikmeter Eichen- und Eschenholz mitten aus der Eifel nach Sedan transportiert, mithilfe des Burghauptmanns von Falkenstein und einem Knappen mit beachtlicher Bizepsgröße. Nach dem Rücktransport der vorgefertigten Teile im März 2001 umhüllten Nebel und Nieselregen in der darauffolgenden Woche Burg Veldenz geheimnisvoll, was die Gilson-Truppe aber nicht abhielt, die Montage der Holzteile vorzunehmen, die puzzelartig zusammengesteckt wurden und, Wunder über Wunder, auch paßten!

Zum ersten Probeschuß wurden Fernsehen, Rundfunk, Presse und die Nachbarschaft aus Veldenz und Thalveldenz eingeladen. Ein »Arbeitswurf« mit einem Gegengewicht von etwa einer Tonne in Steinen schleuderte die Versuchskugel ca. 150 Meter, fast über den Halsgraben hinaus, wurde aber glücklicherweise in ihrem eilenden Flug durch eine stämmige Buche aufgehalten. Es war der gräfliche Haushofmeister von Lichtenberg, der die geniale Idee vortrug, künftig dicke, schwere Wassermelonen zu verwenden, die zwar nur halb so schwer wie berechnet, aber dafür relativ ungefährlich sind.

Die Steinschleuder auf Burg Veldenz ist ein »kleiner Tribock«, schätzungsweise mit einem Drittel der Größe des Gerätes auf der Runneburg. Die Schleuder ist ca. 5 Meter lang und aus Sicherheitsgründen metallverstärkt. Abweichend von Viollet-le-Duc wurden keine Spannfedern benötigt, und auch die Verankerung der Konstruktion im Untergrund mittels einiger Pfähle erwies sich als überflüssig, denn die Statik ist von Jean-Pierre dermaßen ausgeklügelt, daß die Kräfte absolut senkrecht in die Erde abgeleitet werden: Bei keinem Wurf, mit Wassermelonen oder auch schweren Steinen, bewegt sich die Konstruktion. Das Gegengewicht, Kasten genannt, enthält eine Tonne Steine, die hölzernen Dämpfer mildern den Stoß ab, der beim Abschuß auf die Maschine prallt. Ein Unterspanner, ein Seil, das an der Öse der Schleuder eingehackt ist, bestimmt den Stoß, durch den das Geschoß auf den Weg gebracht wird. Der Unterspanner ist fixiert, da die Wurfmaschine die strategische Aufgabe hat, von ihrem Standort in der Hauptburg den Burgweg vor der Torburg, auf dem ständig mit feindlichen Truppen und Rammböcken zu rechnen ist, zu bestreichen. Mit einer Winde wird der Wurfarm herunter gezogen und befreit diesen - nunmehr auf Spannung gebracht - durch das Herausziehen eines Bolzens, der in Veldenz zunächst nur mit viel Fett und Kraft den Schleudervorgang freigab. Der Wurfarm zieht dann mittels der Schleuder den in der Holzrinne wartenden Stein in einer anfangs eher als ruhig zu bezeichnenden Kurve nach hinten, dann nach oben und gibt das Geschoß schließlich exakt im Scheitelpunkt frei (zur genaueren physikalischen Funktionsweise vgl. hier).

Schloss Veldenz - Blidenschuss

Die Maschine funktionierte auf Anhieb, sehr zur Freude des applaudierenden Publikums, wieder war der Nachbau des Plans von Viollet-le-Duc (Seite 453 der Enzyclopédie Médiévale) geglückt. Eine Überraschung gelang einem Nachbarn aus Thalveldenz zu Füßen der Burg: Er brachte einen Blidenstein aus rotem Sandstein als wunderschönes Präsent mit, den er vor vielen Jahren auf dem Gelände des Schlosses gefunden hatte. Damit ist ein zweiter Blidenstein aufgetaucht.

Da Geschütze in späterer Zeit Namen erhielten, beschlossen wir, daß auch die Blide nicht namenlos bleiben sollte: »Severine« heißt sie, nach der Schwiegertochter des französischen Blidenmeisters. Auch vor den strengen Augen einiger Historiker kann die Veldenzer Blide bestehen und darf nunmehr als eine der wenigen authentischen Rekonstruktionen eines Tribocks in Europa gelten, der auch funktioniert!

Herzlicher Dank und Bewunderung gebührt: Jean-Pierre, Frank, Rüdiger, Michael, Elke, Severine, Dominique, Benjamin, Sylvain, Eric und Tom.